Zuerst Leidenschaft und dann der passenden Job?

„Suche erst nach deiner Leidenschaft und dann den passenden Job dazu“ – ist das wirklich ein guter Tipp?

Silvia Follmann

Wo ist er nur, der Traumjob, in dem ich meine Leidenschaften umsetzen kann? (Quelle: Pexels)

Wer den passenden Job will, muss wissen, wo die eigenen Leidenschaften liegen. Alles andere macht keinen Sinn. Ja natürlich, will man sagen. Aber ist das wirklich immer ein guter Ratschlag?

Erst die Leidenschaft, dann die Arbeit?

Es ist dieser eine Rat in Sachen Karriere, den wir uns nicht nur selbst ständig geben, sondern auch bei Familie und Freunden propagieren: Finde raus, für was du eine Leidenschaft hegst und suche dir den passenden Job dazu. Denn wir alle wollen ein erfülltes Leben und das ist definitiv nicht gegeben, wenn wir uns acht bis zehn Stunden am Tag einem Job widmen, den wir nicht gerne machen und in dem wir keinen Sinn sehen. Oder? Es ist das ewige Abwägen zwischen Geld versus Erfüllung und Zeit versus Leidenschaft – also der Frage danach, was uns im Job wirklich glücklich macht.

Es gibt auch Kritik an der Idee von DEM Job, den man nur findet, wenn man zuvor schon Leidenschaft für ihn hegt. Der Ansatz dabei: Wie entsteht eigentlich Leidenschaft für ein Thema und wäre es nicht sinnvoller, erst eine Arbeit zu finden und dann die Leidenschaft dafür zu entwickeln? Nun, was sagen denn Studien zum Thema?

Wie aus Arbeitsaufwand Leidenschaft entsteht

Interessant ist eine Studie von Michael Gielnik, Professor für HR Development an der Uni Lüneburg. Durchgeführt wurde sie mit 54 Jung-Unternehmern in ihrer Pre-Launch-Phase aus ganz Deutschland, die acht Wochen lang begleitet wurden und etwa folgende Fragen beantworten sollten: „Wie viel mehr Arbeit haben sie in den letzten Wochen dafür investiert, ihr Unternehmen voranzubringen, als unbedingt notwendig war?“ Auch sollten sie regelmäßig bewerten, wie sie zu Statements wie folgendem stehen: „In der vergangenen Woche hat mich das Gründen eines Unternehmens begeistert.“ Die Idee dahinter war, den Zusammenhang zwischen Arbeitsanstrengung/-aufwand und Leidenschaft zu untersuchen.

Das Ergebnis: Je mehr Arbeit sie in der Vorwoche in ihre Gründung gesteckt hatten, umso mehr Leidenschaft hatten sie in der aktuellen Woche für ihre Projekte gehegt. Also: mehr Arbeit, mehr Leidenschaft.

Dass diese These aber nicht immer aufgeht, zeigt eine andere Studie: Für sie wurden 136 Studenten gebeten, sich eine aus zwölf möglichen Business-Ideen auszusuchen oder eine eigene vorzuschlagen. Dann sollten sie Business-Ideen entwickeln, indem sie sich den Markt anschauten, Trends scannten und Kundenbedürfnisse abklopften. Dabei sollte herausgefunden werden, in welchem der beiden Settings ihre Leidenschaft für das Thema größer ist. Der einen Hälfte der Teilnehmer wurde für diese Aufgabe (Marktanalyse) nur 30 Minuten Zeit gegeben und ihnen hinterher gesagt, dass es sich hierbei um eine unwichtige Pilotstudie handelt. Bei ihnen bewegte sich nichts in Sachen Leidenschaft.

Die zweite Hälfte hatte sehr viel mehr Zeit , ihnen aber wurde nach Abgabe ihrer Ergebnisse gesagt, sie hätten ihre Aufgabe nur oberflächlich erfüllt und hätten nicht deutlich machen können, ob ihre Idee marktreif ist. Auch bei ihnen stieg die Leidenschaft nicht an, auch wenn sie sehr viel Zeit investiert hatten. Diese beiden Ergebnisse zeigen: Um Leidenschaft entwickeln zu können, braucht es vor allem eines: Sinnhaftigkeit.

Wie sollte man also an die Jobsuche rangehen?

Was macht man jetzt aber mit dem Wissen, wie Leidenschaft entsteht, in Bezug auf die Eingangsfrage? Nun, vor allem sollte man sich klar machen, dass mit dem Ratschlag auch wahnsinnig viele Ideale verknüpft sind, die manch einen in Schockstarre verfallen lassen können – weil es auch schlicht überfordern kann, einen Job zu finden, der einen wahrhaft er- und ausfüllt. Denn wem immer gesagt wird, erfüll dir deine Träume und nicht weniger, der wird schnell an allem etwas zu mäkeln haben – was macht uns schon restlos glücklich?

Natürlich ist es nach wie vor richtig, dass die Verbindung von Leidenschaft und Arbeit uns im Job glücklich macht. Doch vielleicht reicht im ersten Schritt auch erst einmal eine Aufgabe, die in sich selbst schlüssig ist, die vor allem auch für uns schlüssig ist und bei der wir erkennen können, dass unsere Arbeitskraft und Zeit gut angelegt sind. Es muss eventuell nicht immer gleich die Aufgabe sein, die unser Leben reicher, schöner und besser zu macht – und uns am Ende vielleicht sogar zu besseren Menschen.

Am Ende geht es doch um Lebensglück im Job und dafür braucht es auch gute Kollegen, ein gutes Gehalt, ein Arbeitsklima, das zu uns passt und und und. Leidenschaft sollte sicher immer Part unseres Arbeitslebens sein, aber sie ist es nicht alleine, die uns im Job glücklich macht. Und ist es nicht auch so, dass uns Leidenschaften oft erst begegnen, wenn wir eben zufällig auf ein neues Thema stoßen? Sicherlich kennen wir viele von den Leidenschaften, die uns einmal begleiten und erfüllen werden, noch gar nicht. Vielleicht ist deshalb ein guter Rat: Mach das, woran du Freude hast, wo du was bewegen kannst und bleibe offen für Neues – denn eventuell wartet dort deine neue Leidenschaft.