Melonenampeln
so gut wie jedem der irgendwann in großen Behörden oder Unternehmen gearbeitet hat dürften sie bereits begegnet sein: Wassermelonenprojekte. Abgeleitet von den weit verbreiteten Status-Ampeln (grün = alles im Plan, gelb = es gibt Probleme, rot = nichts läuft mehr) beschreibt dieser Begriff Vorhaben, die von aussen grün aussehen, von innen aber rot sind. Wie so etwas aussehen kann durfte ich einmal in einem großen Unternehmen erleben: In einem Teilprojekt hingen an einer Wand Ampeln für die verschiedenen Messwerte. In Time, in Scope, in Budget und so weiter. Jede einzelne von ihnen war rot, die darüberhängende Ampel für den übergreifenden Zustand war aber erstaunlicherweise gelb. Ein ähnliches Bild ergab sich in der Gesamtprojektleitung – die Ampeln fast aller Teilprojekte waren gelb, die für das Gesamtprojekt dagegen war grün. Den Grund dafür, dass dieser offensichtliche Widerspruch einfach hingenommen wurde, konnte man im Kommunikationsmanagementplan nachlesen: ihm zufolge konnte ein Status um eine Stufe nach oben verschoben werden, wenn korrigierende Maßnahmen “eingeleitet” wurden. Wohlgemerkt, nicht erfolgreich, nicht einmal realistisch oder zielführend mussten sie sein, es reichte wenn sie eingeleitet wurden, was auch immer das heißen sollte. Bedingt durch diese Kommunikationsregel wurde den Projektsponsoren bei jedem Meeting eine grüne Ampel gezeigt, obwohl in Wahrheit Stillstand und Chaos herrschten. Und Geschichten wie diese gibt es in erstaunlich vielen Großorganisationen.
An dieser Stelle fragt sich fast jeder Beobachter das selbe: fällt das nicht irgendwann auf, dass da dreist gelogen wird, und werden die verantwortlichen Manager dann nicht einen Kopf kürzer gemacht? Die Antwort lautet sowohl ja als auch nein, denn hier kommt ein anderes Phänomen ins Spiel – die Looserkarte. Und um die zu erklären muss man etwas ausholen. In großen Projekten ist der Personalbestand selten statisch, vielmehr werden von der untersten Ebene aufwärts immer wieder Mitarbeiter und Manager ausgetauscht. Gerade an der Spitze ist das sogar wahrscheinlich, denn wer es schafft sein Projekt über einen längeren Zeitraum (scheinbar) grün zu halten, der empfiehlt sich dadurch für höhere Aufgaben und wird befördert. Bis zu dem Zeitpunkt an dem der Offenbarungseid des Projekt-Scheiterns geleistet werden muss hat die Führungsmannschaft daher häufig schon mehrere Wechsel hinter sich. Im Grunde könnte man dieser Stelle denjenigen Manager bedauern, der gerade dann in der Verantwortung ist, wenn auch “die Aussenseite der Melone sich rot färbt”, denn dessen Laufbahn nimmt jetzt Schaden. Er hat die ” Looserkarte” gezogen, selbst wenn die fatale Entwicklung schon lange vor ihm begonnen haben sollte. In der Realität kommt er aber häufig nur mit ein paar Kratzern auf seiner Karriere davon, denn genau jetzt kommt die Looserkarte zum tragen.
Alle Manager aus den späteren Projektphasen können sich jetzt darauf berufen, dass die Situation bereits verfahren gewesen wäre als sie gekommen sind. Heldenhaft hätten sie gearbeitet und gekämpft um Schlimmeres zu verhindern, und sogar beweisen ließe sich das: gerade die nach oben korrigierten Statusberichte seien doch der Beleg dafür, dass man ständig Gegenmassnahmen eingeleitet habe (und nur durch die wäre nicht schon viel früher alles zusammengebrochen). Die Manager aus den frühen Projektphasen können natürlich dagegenhalten: zu ihrer Zeit wären doch alle Statusberichte grün gewesen, alles wäre wie geplant gelaufen und zum Zeitpunkt ihres Abgangs hätten sie ein geordnetes Haus hinterlassen. Für das was danach passiert wäre könnten sie nichts. Letztendlich führen diese Verteidigungsstrategien dazu, dass sich niemand findet, dem man die Schuld geben kann. Weder kann man den einen beweisen, dass schon zu ihrer Zeit alles schiefgelaufen ist, noch kann man belegen, dass die anderen etwas anderes als einen unrettbaren Zustand vorgefunden haben. Beide haben sich abgesichert und irgendwo zwischen ihnen klafft jetzt eine Verantwortlichkeits-Lücke, in der die Looserkarte verschwindet, die das oberste Management so gerne irgendwem irgendwohin geschoben hätte. Die Looserkarte eben.
Eine hoffnungslose Situation? Nicht ganz. Man könnte zumindest für die Zukunft versuchen zu verhindern, dass sich derartiges wiederholt, etwa indem man daran arbeitet den Projekt-Status realistischer und überprüfbarer zu machen. Dann müsste man allerdings damit leben, dass der schon viel früher gelb und rot werden kann – und dafür lieben hohe Manager die Farbe grün viel zu innig. Vor die Wahl gestellt wird vielen plötzlich klar, dass Wassermelonen gar nicht so schlecht sind – also geht es weiter wie bisher.