2016 war das Jahr, in dem aus „Industrie 4.0“ konkrete Projekte werden.
Dieser Ansicht waren auch die Marktforscher und Analysten von Gartner. Hier lautete es in einer Studie: „Digitalization moves from an innovative trend to a core competency“. Eine Aussage, der nach wie vor zutrifft.
Vor allem lösen sich mehr und mehr die Unternehmensgrenzen des Lieferanten und des Anbieters zum Kunden auf (siehe Bild „Integrale Vernetzung“).
Wurde bei der Unternehmensanalyse in der Vergangenheit der Schwerpunkt auf die Analyse der Kern- und Nebenprozesse im Unternehmen gelegt, so gilt es jetzt neu zu prüfen, was sind die golden Nuggets Prozesse, die über den Tellerrand des Unternehmens hinaus reichen.
So oder so ist in allen betroffenen Unternehmen eine Vielzahl von Initiativen erforderlich, um die Digitale Transformation umzusetzen. Ziel ist die Umstellung, Weiterentwicklung sowie die Neuausrichtung um die Möglichkeiten der neuen integralen Digitalisierung voll auszuschöpfen. Auch wenn die Informationstechnologie dabei der treibende Motor der Digitalen Transformation ist, so entscheidet die Navigation in kundennahen Bereichen über den Erfolg. Diese Fachbereiche sind die Treiber und Ideen Umsetzer der digitalen Transformation.
Digitaler Anspruch vs. reale Umsetzung
Aktuell zeigt sich noch eine deutliche Diskrepanz zwischen digitalem Anspruch und der realen Umsetzungsfähigkeit. Die Schlüsselfrage lautet: welche konkreten Projekte sind erforderlich und wie sollen diese geplant und gesteuert werden?
Hier rentiert sich ein kurzer Ausflug in die Welt der Semi Conductor Industrie, auch Halbleiter Industrie genannt. Dieser Industriezweig war seit jeher gezwungen, geradezu tagesaktuell auf Neuerungen und damit auf Anforderungen von Kunden zu reagieren. Dies wäre aber mit starren Produktionsanlagen nie möglich gewesen. Deshalb hat sich weltweit in der Halbleiterindustrie die flexible Produktion von jeher etabliert. Heute würden wir diese Methoden „Scrum“, „Agile“ und „Kanban“ nennen, denn eine Symbiose dieser Methoden verbindet heute eine moderne Semi Conductor Fabrik. So werden nicht nur die Produktionsmethoden und Abläufe kontinuierlich optimiert, sondern auch die technologischen Prozesse. Dies bei gleichzeitiger Änderung des Verbraucherverhaltens (sprich der Kundenwünsche) im Quartalsrhythmus.
Und genau diese Anforderungen kommen auf die Unternehmen mit dem Industrie Standard 4.0 zu.
An der Aufmerksamkeit derartige Vorhaben durch das Top Management mangelt es also nicht. An der Wichtigkeit und den erforderlichen Budgets fehlt es auch nicht. Erfolgskritisch ist letztendlich das richtige Prozess- und Projektmanagement. Doch was sind die konkreten Besonderheiten, die diese Projekte auszeichnen und welche konkreten Empfehlungen leiten sich daraus ab?
- Das Projektmanagement braucht nicht umfassend zu sein. Eine Konzentration auf die wesentlichen Projektmanagement-Deliverables (Scope, Terminplan, Projektstatus, Risiken, Benefit-Planung) reicht aus. Der Schlüssel zum Erfolg liegt bei der Agilität, also der sprichwörtlichen Flexibilität der Anpassfähigkeit sich schnell ändernde Abläufe und Prozesse.
- Kern der Projektplanung ist die Definition von sogenannten Wellen, beziehungsweise Release-Abfolgen, ausgehend von der Frage: Zu welchem Zeitpunkten wollen wir was liefern? Die Zyklen zwischen den Wellen müssen bewusst kurz gehalten werden (1 – 3 Monate).
- Die Inhalte der Wellen werden agil geplant und über Meilensteine synchronisiert.
- Die Planung der agilen Umsetzungsstufen, zusammen mit der Beherrschbarkeit von Abhängigkeiten (zwischen mehreren Vorhaben der Digitalen Transformation) und der Analyse von alternativen Szenarien, erfordern eine überlagerte klassische Projektsteuerung.
- Darüber steht ein Scope-Management um sicherzustellen, dass Änderungen im Scope (welche Ergebnisse soll das Projekt in welcher Phase liefern?) frühzeitig erkannt, entsprechend gesteuert und in der Projektplanung abgebildet werden. Maßgeblich für Scope-Änderungen sind Änderungen im Business Case oder im Business Model.
- Immer stehen Geschwindigkeit und das Liefern der Ergebnisse im Vordergrund – schnelle Ergebnisse zählen, Iterationen und Erweiterungen kommen später.
- In diese Form der Projektplanung muss der Kunden zwingend einbezogen werden? Feste Zeitpunkte für die Rapid Prototypings, Kundenpräsentationen, Feedbackschleifen bilden dazu den Rahmen.
- Die Optimierung solch hoch komplexer und dynamischer Vorgänge bedarf der „just in time“ Erfassung der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, mit ausgewählten Frühindikatoren für eine präventive, sensorische Steuerung dieser Prozess.
- Lieferanten und externe Partner (Software-Lieferanten, Beratungspartner, andere Dienstleister) sind verbindlich in die Projektplanung zu integrieren. Gegebenenfalls werden Teilpläne und Teilprozesse der Lieferanten in die Gesamtplanung automatisch eingebunden.
- In den Plan gehört auch die frühzeitige Einbeziehung des Go-Live Szenarios (was passiert nach Projektende?). Denn nicht nur die Geschäftsprozesse werden sich ändern, sondern auch die etablierten Regelungen. Dabei sollte geklärt werden, wann der geplante Aufbau von und Übergabe an neue Organisationsstrukturen erfolgt, wann die Trainings starten müssen und wie der „Betrieb in der neuen Linie“ aussieht?
- Governance und Steuerung des Programmes erfolgt businessorientiert und nicht mehr organisationsfokussiert: Die Steuerung wird durch die Einheiten oder Personen bestimmt, die letztlich die geplanten Benefits verantworten (gemeint sind Benefits wie erhöhte Erlöse, gestiegene Kundenbindung, Markenbindung usw.).
- Sollte die Projektplanung extern vergeben werden, ist strikt auf eine Gewaltenteilung von Management und Delivery zu achten: Die Gesamtprojektplanung und -steuerung sollte auf keinen Fall dem Lieferant oder dem Software-Hersteller übertragen werden, sondern muß von einem neutralen, unabhängigen Dritten erfolgen.
Und was ist die Quintessenz dieser Erfahrungen?
Bei aller Dynamik der Digitalen Transformation – konsequente Projektplanung und Projektsteuerung sind der Schlüssel zum Erfolg.